[kinoki-mikrokino] Empfehlung: Elfriede Jelineks "Stecken, Stab und Stangl" im Nestroyhof

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Fre Nov 25 10:14:58 CET 2005


Theatertipp: Sprachmunition, abgefeiert

Elfriede Jelineks "Stecken, Stab und Stangl" im Nestroyhof (pet, DER 
STANDARD, 22.11.)

"Ein Stück Gesellschaftspolitik: 1995 wurden vier österreichische Roma 
in Oberwart ermordet. Einschlägige Medien und Politiker reagierten 
artgerecht - ihre Wortmeldungen zerlegte Elfriede Jelinek in Stecken, 
Stab und Stangl zu einem zynisch-wortgewaltigen Stück über emotionale 
Abschottung und braunen Bodensatz. Und so schunkelt des Fleischers 
(großartig: Tania Golden) Club der Bodenständigkeit lamentierend durch 
die "Toten-Feier". Körperlich erfahrbar hat diese Unannehmbarkeit Alenka 
Malys Bühnenkonzept gemacht: Die reaktionären Begräbnisansprachen 
spielen sich minutenlang hinter dem Rücken der Zuschauer ab. Das 
Ausufern zur grotesken Tanzveranstaltung (Kostüme: H.A.P.P.Y) wäre nicht 
nötig gewesen, aber das 17-köpfige, multinationale Darstellerensemble 
schafft es, das Publikum wirkungsvoll zwischen Selbstreflexion und 
Selbstironie hängen zu lassen. Hingehen!"

Viele Frauen über Oberwart (Kurier 18.11.)

"Da passen Stück und Spielort zusammen: Im ehemaligen (weil arisierten) 
jüdischen Theater im Nestroyhof wird "Stecken, Stab und Stangl" gespielt 
- Elfriede Jelineks Auseinandersetzung mit dem Bombenanschalg von 
Oberwart, bei dem 1995 vier >Roma getöte wurden. gespielt wird (fast 
nur) von Frauen, die meisten von ihnen Migrantinnen. Daraus ergeben sich 
starke Szenen - etwa wenn zwei Frauen ein türkisches Klagelied singen, 
oder wenn Jelineks Texte über die österreichische Mords-Mentalität in 
gebrochenem Deutsch vorgetragen werden. Unter den professionellen 
Schauspielerinnen glänzt Tania Golden als Metzger. (...) Insgesamt 
entsteht ein sehr intensiver, anregender Abend."

Die Geister der Toten-Häuser(Die Presse,19.11.2005)

"Elfriede Jelineks "Stecken, Stab und Stangl", eine interessante 
Begegnung im Nestroyhof.

Für die linken Intellektuellen war die Bajuwarische Befreiungsarmee 
(BB), die vor zehn Jahren Österreich in sehr realen Schrecken versetzte, 
eine dunkle Stunde. Statt der viel beschriebenen Neo-Nazi-Verschwörung 
gab es nur einen wahnsinnigen Einzeltäter: Franz Fuchs. Elfriede Jelinek 
schrieb damals über die Morde von Oberwart - vier Roma wurden bei einem 
Sprengstoffanschlag der BB getötet - "Stecken, Stab und Stangl" 
(Uraufführung: 1996 Hamburg).
Tina Leisch hat für ihre Inszenierung im Nestroy-Hof, wo vor dem Krieg 
ein jüdisches Theater war, ein Ensemble aus Roma, türkischen und 
deutschsprachigen Darstellern, Laien und Profis, versammelt. Das schafft 
authentische Atmosphäre, die über weite Strecken vergessen macht, dass 
manche Spieler mit Jelineks verzwickten Sprachspielen schwer zurechtkommen.
Bei der Uraufführung des Stücks war zu lesen: Das Werk dresche gar zu 
viele Klischees und Kalauer. Aus der Distanz der Jahre und ohne die 
politisch aufgeheizte Stimmung von damals wirkt der Text vor allem 
tragikomisch wahr: die Dörfler, der Fleischhauer (Tania Golden), die 
Mischung aus Anteilnahme und grausigen Vorurteilen, die Fremden und die 
Einheimischen, die Geister der Toten und das Blaffen der Medien: In den 
Text sind nicht nur Celan- und Heidegger-Worte eingewoben, sondern auch 
Staberl-Sätze und Haider-Zitate. Es ist eine Mahnwache und eine 
Ermahnung, die gelingt, dank der Schauspieler, vor allem aber dank 
Jelineks Sprache, in die man sich eingehört hat. Eine nicht durchwegs 
dichte, aber insgesamt spannende Aufführung. Davor erhoben andere 
Geister ihre Stimmen in einem Dramolett "Der Dybbuk (Dämon) im 
Nestroy-Hof" über die frühere Besitzerin des arisierten Hauses, die im 
KZ ermordet wurde. Ein nachdenklich stimmender Abend. bp"

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Elfriede Jelineks
STECKEN, STAB UND STANGL
gespielt im ehemaligen jüdischen Theater im Nestroyhof und im 
Ernst-Kirchweger-Haus (EKH)

PREMIERE:
Mi., 16. November 2005
18., 19., 20., 22.,23., 25., 26., 27., Nov. 2005
und 7., 8., 9.,10., Dez.2005
(Beginn: jeweils 20 Uhr)
ehem. jüdisches
THEATER IM NESTROYHOF
A-1020 Wien; Nestroyplatz1 (U1 Nestroyplatz)
Eintritt: € 15,-- / € 12,--
Reservierung: 0699/101 94 579

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Weitere Vorstellungen:
2., 3., 4. Dez. 2005
(Beginn: jeweils 20 Uhr)
EKH/Ernst-Kirchweger-Haus
A-1100 Wien; Wielandgasse 2-4 (U1 Keplerplatz)
Eintritt: € 7,-- (plus Spende!)
Reservierung: Tel. 0699/101 94 579 oder unter:
www.steckenstabundstangl.info
An beiden Auftrittsorten:
Eintritt für AsylwerberInnen und AugustinverkäuferInnen frei

Erinnert sich noch jemand an das finstere Jahr 1995?
Das rassistische Volksbegehren der FPÖ war gerade zwei Jahre vorbei, 
zwei Briefbombenserien an Menschen, die in der einen oder andren Weise 
eine kosmopolitische, anitrassistische, minderheitenfreundliche Haltung 
bewiesen, hatten etliche Verletzte gefordert, als am 4. Februar 1995 in 
Oberwart eine Sprengfalle vier Männer tötete.

Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon waren 
Burgenländische Roma, Nachfahren der wenigen Romafamilien, die 
Lackenbach und Maxglahn, Buchenwald und Ravensbrück, Auschwitz und 
Mauthausen überlebt hatten.
Die ersten Reaktionen von Behörden und Politikern auf den Mordanschlag 
waren empörende Zeichen eines tiefsitzenden Antiziganismus. Als erstes 
durchsuchte man die Häuser der Angehörigen der Toten. Und Jörg Haider 
meinte gar: „Wer sagt, dass es nicht um einen Konflikt bei einem 
Waffengeschäft, einen Autoschieberdeal oder um Drogen gegangen ist?“ 
Dieser unsägliche Haidersager steht als Motto über Elfriede Jelineks 
Text „Stecken, Stab und Stangl“, der vor allem die Niedertracht der 
medialen Kommentare zu dem Anschlag in Oberwart zu einem Stimmengewirr 
des Vergessenwollens, Verdrängens und Beschwichtigens komponiert.

Es ist für uns eine große Herausforderung diesen Text nun im ehemaligen 
jüdischen Theater im Nestroyhof und im Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) 
aufzuführen.

Mit einem Ensemble aus fast ausschließlich Frauen, die meisten von Ihnen 
Migrantinnen. Neben Tania Golden, Sevgi Efe und Kristina Zoufaly fechten 
Laiendarstellerinnen mit den Jelinekschen Sprachwaffen gegen das 
ewiggestrige Stammtischgerede. Nagen herum an den Heideggerbrocken im 
Text, bis das Skelett der Totschlagphilosophie blank liegt. Kehren den 
Schrecken unter den Sprachteppich der Gemeinheit. Erkunden die 
Triebstruktur hinter dem Braunschleier. Bemänteln die Wehrsportlichkeit 
mit exotischem Hüftschwung.

Spielorte sind einerseits der von dem jüdischen Architekten Oskar 
Marmorek gestalteten Theatersaal im Nestroyhof, der vor der Enteignung 
durch die Nationalsozialisten und der Arisierung von einer Vielzahl 
jüdischer Theater- und Kabarettgruppen bespielt worden war. Welchen 
Klang wird das leitmotivisch wiederholte „Einmal muß Schluß sein!“ in 
diesem Raum annehmen?
Andererseits das EKH / Ernst-Kirchweger-Haus: seit fünfzehn Jahren ein 
Ort interkulturellen Zusammenlebens. Nachdem das Haus nun von einer 
Baufirma gekauft wurde und von einem Trägerverein betrieben werden soll, 
stehen etliche Veränderungen zur Debatte. So will die Produktion eine 
“Propaganda der Tat” für mehr interkulturelle Kunst- und 
Theaterproduktionen sein und eine Einladung, einen quasi “verfemten” Ort.

Es spielen:
Tania GOLDEN, Sevgi EFE
Kristina ZOUFALY, Cigdem GÜLCEHRE
Güllü AY, Magdalena FORTON
Bobana STOJKOV, Hatice DILLICE,
Saray SAHAN, Lisbeth KOVACIC,
Lisa KORTSCHAK,
Alexander PEER,
Regie:
Tina LEISCH
Musikkonzept:
Gini MÜLLER
Videoprojektionen:
Alenka MALY
Kostüme:
M.f.U. von H.A.P.P.Y
Dramaturgische Beratung:
Ülkü AKBABA
Fotos und Plakatsujet:
Ines DOUJAK
Regieassistenz:
Nora GUMPENBERGER und Cigdem GÜLCEHRE
Diaprojektionen:
Lisbeth KOVACIC
Website:
Gonca KARAPINAR
Graphik:
Eva DRANAZ/3007

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