[kinoki-mikrokino] #140 ALMfilm: Erkenntnisgewinn durch zuhören können
augustine.leisch at gmx.at
augustine.leisch at gmx.at
Mon Dez 4 17:21:59 CET 2006
liebe freundInnen und kollegInnen!
wir bitten den nächsten kinoki mikrokino termin anzukündigen und
weiterzuleiten. der ALMfilm war heuer zur duisburger filmwoche geladen
und
wir freuen uns sehr, dass die regisseurin gundula daxecker und einige
der
protagonistInnen des films bei der präsentation anwesend sein werden.
vielen dank!
KINOKIS MIKROKINO
Politische Filmabende, 1x monatlich im depot bei freiem Eintritt.
depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien, http://www.depot.or.at
kinoki. Verein für audio-visuelle Selbstbestimmung
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depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien, http://www.depot.or.at/
kinokis mikrokino #140
ALMfilm: Erkenntnisgewinn durch zuhören können
Der ALMfilm ist ein intensiver Dokumentarfilm über den Arbeitsplatz von
Menschen mit geistiger Behinderung, der sogenannten "Alm" oberhalb des
Kahlenberger Dörfls im Wienerwald. Behinderung wird dabei in keiner
Szene
"ausgestellt".
Die MitarbeiterInnen kommen zu Wort in Sprache oder Ausdruck und der
Film bietet
die Gelegenheit, diese Menschen über das Jahr bei ihren Tätigkeiten,
Träumen
und Reflexionen zu begleiten.
ALMfilm erzählt vom Meistern des Alltags und der Kraft und dem
Selbstbewusstsein, die daraus folgen.
(Diagonale 2006)
ALMfilm von Gundula Daxecker
A 2006, 69 min., mit Manuela Hauer, Julia Panholzer, Hans Hoffmann,
Murat
Börekci, Wolfgang Krejar und vielen anderen
Buch, Regie, Schnitt: Gundula Daxecker
Kamera, Postproduktion: Ludwig Löckinger
Eine Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
http://www.geyrhalterfilm.com
Anschließend Diskussion mit Gundula Daxecker, Murat Börekci, Manuela
Hauer, Julia Panholzer (ALMmitarbeiterInnen) und Achim Schwarz
(Betreuer auf der ALM)
Wozu der ALMfilm?
"Was hat der ALMfilm den Almleuten gebracht? Außer Abwechslung im
Arbeitsalltag an Drehtagen und einem Ausflug nach Graz mit Essen auf
Kosten der Filmproduktionsfirma, außer dem Erlebnis, sich selbst auf
der großen Leinwand zu sehen und dem Applaus nach der Vorführung,
außer der Erfahrung, wie es ist, in einem Film mitzuwirken und was es
heißt, offen über sich zu sprechen, außer der Selbsterkenntnis, zu der
die intensiven Interviews führten, außer der Freundschaft zu den
Filmleuten, die den Filmdreh überdauerte, außer den mehr oder weniger
willkommenen Verzögerungen des Arbeitsbeginns, weil erst noch die
Kamera perfekt positioniert werden musste, außer einem
außergewöhnlichen Dokumentarfilm über eine außergewöhnliche
Beschäftigungstherapie-Einrichtung, eigentlich nicht viel."
Bernhard Girstmair (Leiter der ALM)
Weitere Texte:
Ein berührender Film!
Aus meiner beruflichen Geschichte, ich bin psychiatrischer
Krankenpfleger, hatte ich intensiven Kontakt mit behinderten Menschen.
Das war 1977-80 während meiner Ausbildung. Damals gingen wir, von der
offenen Psychiatrie in Italien inspiriert mit den geistig und
körperlich schwerstbehinderten Menschen von der Institution „Steinhof“
in die Gesellschaft hinaus, machten Ausflüge und Tiergartenbesuche..
Muteten uns und die Patienten der Bevölkerung zu.
Viele der damals hospitalisierten Patienten hätten in alternativen
Wohnprojekten leben können, hätte es solche gegeben.
Der ALM-Film von Gundula Daxecker hat ein Stück meiner Vergangenheit
wachgerufen und mir gezeigt wie Menschen mit Behinderungen heute ihr
Leben meistern können. Mehr noch, der Film hat mir gezeigt, dass diese
Menschen die gleichen Gefühle und Sehnsüchte haben wie sogenannte
Normale, Gesunde.
In Gundulas Film werden diese Menschen mit all ihren Bedürfnissen,
Emotionen und Befindlichkeiten gezeigt. Auf eine unspektakuläre und
sensible Art und weise, die es möglich macht den Menschen zu sehnen, in
seiner Würde und Integrität.
Die Aufmerksamkeit, der Fokus gilt ganz diesen Menschen, wissentlich,
dass das gezeigte nur ein kleiner Abschnitt ihres Lebens ist.
Wissentlich auch der im Film kaum gezeigten Menschen die dieses
Alm-Projekt und die Menschen dort unterstützen.
Gundula Daxecker ist es gelungen mit wenigen Fragen viele Antworten zu
bekommen. Der Film weckt in mir eine Verbindung zu Sten Nadolnys „ Die
Entdeckung der Langsamkeit“ wo auch „andere“ Dimensionen menschlicher
Eigenschaften eine Rolle spielen.
Ein Film der beitragen kann die Kluft zwischen normal und behindert zu
verkleinern und unbedingt einer breiteren Öffentlichkeit gezeigt werden
sollte.
Günter Pichler
Akad. Pflegemanager
SOWAS -Chefredakteur
Realistisch ist nur die Beziehung, die wir zu den Leuten haben – und
wie sie sich vor der Kamera zeigt.“
Gespräch mit Gundula Daxecker über ihren Dokumentarfilm ALMfilm
von Thomas Korschil
Thomas Korschil: Wie bist du dazu gekommen, dich mit Menschen mit
geistigen Behinderungen filmisch auseinanderzusetzen?
Gundula Daxecker: Manuela Hauer, eine der Hauptprotagonistinnen, kenne
ich schon länger, u.a. vom „Siebenstern“, als sie dort noch weniger
integriert war als heute, noch nicht so viele Leute kannte. Aber
zumindest war das ein Lokal, wo sie nicht einfach weggeschickt wurde.
Ich kann mich erinnern, wie sie vorm Eingang am Boden gesessen ist und
Selbstgespräche geführt hat. Mich hat das berührt, dass sie anscheinend
niemanden hatte, mit dem sie kommunizieren konnte. Ich habe dann die
Erfahrung gemacht, dass sie sich verständlich machen und gut ausdrücken
kann.
T: Was mir an deinem Film gut gefällt, ist, dass er offensichtlich
nicht versucht, das „Alm“-Projekt umfassend zu dokumentieren, sondern
sich auf einige wenige Personen konzentriert.
G: Wir haben während der Weinernte zu drehen begonnen und wollten die
Leute ursprünglich insgesamt viel bei der Arbeit zeigen. Es hat sich
für uns dabei aber schnell ein Wiederholungseffekt eingestellt. Schon
in der ersten Drehwoche haben wir auch mit den Interviews begonnen, die
im Laufe der Dreharbeiten immer wichtiger wurden. Das war ein längerer
Prozess. Murat Börekci, z.B., wollte zunächst nicht mitmachen, wurde
dann aber zu einer der wichtigsten Figuren im Film. Beim ersten
Interview hat er geglaubt, schnell eine Antwort geben zu müssen. Er ist
aber nicht schnell und braucht seine Zeit zum Nachdenken und Sprechen,
so dass wir gar nicht richtig ins Gespräch gekommen sind. Am nächsten
Tag wollte er gleich das nächste Interview machen, und das konnten wir
schon für den Film verwenden – da hat es funktioniert und ich habe
gewusst, wie ich mit ihm reden muss.
T: Inwieweit waren die Gespräche Interviews im Sinne von gezielten
Fragen und thematischen Vorgaben für die ProtagonistInnen?
G: Grundsätzlich habe ich mir überlegt, sie einfach erzählen zu lassen,
was sie gerade erzählen wollten. Es gibt viele Stunden
Interviewmaterial, wo sie über Sachen reden, die nicht im Film
vorkommen, weil sie nicht so interessant oder vielleicht auch zu
persönlich waren. Wichtig war, eine Situation zu schaffen, in der sie
nicht darüber nachdenken müssen, was gerade gut oder gescheit zu sagen
wäre – ich wollte jeden Druck wegnehmen, sie frei reden lassen.
Zugleich hatte ich Themen, nach denen ich gefragt habe. Es sollte um
Vergangenheit und Erinnerung gehen, Familie und um das „Hier und Jetzt“.
Durch die Sprechpausen, die auch im Film vorkommen, entsteht ein Raum
zum Nachdenken und Nachspüren. Sprache und Denken waren wichtige Themen
für den Film. Ich wollte, dass man sieht, dass diese Leute – denen man
das Denken für gewöhnlich abspricht – denken.
T: Hatten deine ProtagonistInnen ein Mitspracherecht bei der
Entscheidung, was in den Film kommt und was nicht? Was blieb draußen?
G: Julia Panholzer, z.B., hat viel über ihren Vater erzählt, furchtbare
Geschichten. Ich hätte sie vielleicht dazu bringen können, einer
Verwendung davon im Film zuzustimmen. Ich musste verantwortlich damit
umgehen. Murat wollte nicht, dass seine Eltern vorkommen. Ich bin mit
den ProtagonistInnen alle Interviewpassagen, die im Film vorkommen
sollten, durchgegangen, und habe sie gefragt, ob wir sie verwenden
dürfen.
T: Manche Gesprächsinhalte werden nicht völlig klar, z.B. Murats
Geschichte von seinem Freund und dem Verrat. Hast du erwogen, auf
anderen Ebenen Zusatzinformationen einfließen zu lassen oder wolltest
du manches auch bewusst offen lassen?
G: Ich wollte auf keinen Fall einen Off-Kommentar oder Zusatztexte,
weil ich finde, dass die ProtagonistInnen sehr wohl für sich sprechen
können. Dass dann vielleicht nicht immer alles klar ist, habe ich
bewusst in Kauf genommen. Ich hätte es wirklich öd gefunden,
anzufangen, sie zu erklären. Ich finde es interessant, wenn man nach
dem Film Fragen hat, nicht alles erklärt ist und der Film auch zum
Nachdenken anregt.
T: Mir hat sich wiederholt die Frage aufgedrängt, inwieweit die
ProtagonistInnen ein Bewusstsein über ihre eigene Situation und ihre
Mitwirkung beim Film haben. Dass du sie sich derart öffnen lässt und
unkommentiert zeigst, kann man ja durchaus auch problematisch sehen.
G: Es war für mich schon eine Gratwanderung. Wie Murat z.B. die
Geschichte mit seinem Freund erlebt hat – er will, dass die Leute das
wissen, dass ihm das so passiert ist. Wenn er unterwegs ist und die
Leute auf der Straße glauben, er sei betrunken und sich zu einer
Schlägerei provozieren lässt – er möchte, dass die Leute wissen, dass
er aufgrund seiner Gleichgewichtsstörungen torkelt und nicht, weil er
betrunken ist. Oder wenn er sagt, dass ihn niemand mag und er jemand
sei, den man nicht mögen könne – das ist für ihn nicht zu persönlich
oder privat.
T: Im Unterschied zu Murat, der sich selber viel reflektiert, scheinen
andere mehr in ihrer eigenen Welt zu bleiben, was sich auch im Umgang
mit der Sprache ausdrückt. Manuela könnte man z.B. als virtuose
Sprachkünstlerin sehen, wodurch konkrete Probleme möglicherweise
ästhetisiert und verklärt werden.
G: Ja, vielleicht ist das eine Möglichkeit für das Publikum sich zu
distanzieren, weil die Leute sehr direkt sind. Sie gehen direkt auf
einen zu, und das merkt man eben auch im Film. Einerseits erlebt man
diese Direktheit und andrerseits ist es eben ein Film und eine
Möglichkeit, Distanz herzustellen, weil die Leute einem vielleicht oft
näher kommen, als man das möchte. Aber ich habe kein Problem mit einer
ästhetisierenden Lesart, weil ich glaube, dass man vielleicht Momente
verklären kann, Teile, aber die Personen selber verklärt man nicht.
T: Welche Rolle haben die BetreuerInnen im Film?
G: Die BetreuerInnen sollten im Hintergrund bleiben. Dass sie
vorkommen, war für den Zusammenhang wichtig, dass man sieht, dass die
KlientInnen nicht einfach sich selbst überlassen sind, sondern dass es
diese Realität von Betreuung und einem geschützten Arbeitsplatz gibt.
Ich wollte mit diesem Film vom typischen Bild von KlientInnen oder
„Behinderten“, die auf Hilfe angewiesen sind, wegkommen – zumindest ein
wenig: Die ZuseherInnen haben so die Möglichkeit den ProtagonistInnen
auf einer gleichberechtigten Ebene zu begegnen. Eine Identifikation des
Publikums mit den BetreuerInnen würde den KlientInnen wieder den Platz
zuweisen, den sie in unserer Gesellschaft ohnehin haben. Ich wollte
einen neuen Raum für sie schaffen.
T: Die geografische Abgeschiedenheit der „Alm“, wie sie der Film
vermittelt, scheint symptomatisch für die Position von Menschen mit
Behinderung in unserer Gesellschaft zu sein.
G: Man hat eigentlich kaum Kontakt mit behinderten Leuten und wenn man
jemanden sieht, hat man entsprechende Vorurteile und Ängste. Ich habe
jetzt sicher einen anderen Zugang zu Menschen mit geistiger Behinderung
als vorher und ich finde, dass viel mehr gemacht werden müsste, um sie
zu integrieren. Manuela z.B. hat sich im „Siebenstern“ ihren Platz
geschaffen, in bestimmten Bereichen sind Leute offen. Aber Behinderung
ist in Österreich kein Thema. Die Leute interessieren sich nicht dafür.
Weil sie zu wenig wissen und so mit der ganzen Thematik scheinbar
nichts zu tun haben. Aber es könnte eine Bereicherung sein, und es ist
wichtig für eine Gesellschaft, dass Randgruppen integriert werden. Der
Film schafft Öffentlichkeit und eine Situation, in der man diesen
Menschen zuhört und zuhören muss, wenn man einmal im Kino drinnen ist.
T: Was für Perspektiven haben die „Alm“-Leute?
G: Für die KlientInnen ist die „Alm“ eine selbst gewählte
Arbeitsstätte, die sie auch wieder verlassen können, wenn sie wollen.
Für viele ist die „Alm“ ein Schritt in die Selbstständigkeit, sie
verdienen ihr eigenes Geld (Taschengeld und Sozialhilfe) und werden vom
Verein unterstützt, ein eigenständiges Leben in einer eigenen
(betreuten) Wohnung zu finden. Ich habe die Zeit auf der „Alm“ aber
auch oft als trist und hoffnungslos empfunden. Murat ist depressiv, was
auch im Film spürbar ist. Ich habe mich sehr bemüht, primär das
Positive zu zeigen, das, was das Leben schön macht. Trotz des starken
Lebenswillens der Leute, den ich immer wieder erlebt habe, liegt über
allem eine enorme Schwere. Was macht Julia in 20 Jahren?
T: Wie haben die ProtagonistInnen den Film aufgenommen? Bei der
Diagonale haben sich einige von ihnen offensichtlich amüsiert.
G: Für mich war das wie ein Geschenk und ein schöner Abschluss des
Projekts. Dass sie sich so groß im Kino sehen konnten, war toll für
sie. Sie waren sehr stolz auf sich. Das Ganze hatte auch einen
therapeutischen Effekt. Bernhard Girstmair, der Leiter der „Alm“, hat
gemeint, der ALMfilm hat die „Alm“ verändert. Die Leute hätten in den
vielen Interviews die Möglichkeit gehabt, über sich und ihr Leben
nachzudenken. Das hat viel bewirkt an Selbstreflexion und
Selbstbewusstsein. Murat, der ein so großes Problem damit hatte, sich
zugehörig zu fühlen, teilt sich jetzt das Bürgermeisteramt auf der
„Alm“ mit Manuela. Und die Wickel zwischen Julia und Murat haben sich
auch geklärt.
T: Wickel? Im Film ist es ja so, dass sie am Ende zusammen kommen.
G: In Realität war alles viel komplizierter. Julia hatte einen anderen
Freund und Murat war hasserfüllt und wollte sie nicht mehr sehen etc.
Lustigerweise sind sie dann aber irgendwie zusammen gekommen –
vielleicht auch durch den Film. Ich wollte keine heile Welt vermitteln
– und es wird ja auch klar, wie schwierig diese Beziehung ist –, aber
ich habe dieses Happyend wie ein Geschenk empfunden und schon beim
Drehen gespürt, dass das das Ende des Films ist.
T: Das „konstruierte“ Happyend passt zur Haltung des Films – ihr gebt
nicht vor, bloß von außen zu beobachten. Was habt ihr sonst noch
inszeniert?
G: Es gibt einiges. Z.B. die Arbeitsbesprechung ohne BetreuerInnen, die
so nur für den Film stattfand. Bernhard Girstmair hat die Vision, dass
sich die BetreuerInnen dereinst selbst wegrationalisiert haben werden
und die „Alm“ von den KlientInnen alleine betrieben wird – diese Utopie
ist im Film. Realistisch ist nur die Beziehung, die wir zu den Leuten
haben und wie sie sich vor der Kamera zeigt.
[Das Gespräch wurde am 2. Juni 2006 in Wien geführt.]
revolution will not be televised
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